11. November 2011

.:Atelierbesuch.Eva Wittig:.



Eva Wittig arbeitet in einem Hinterhof in den Mannheimer Quadraten daran, persönliche Erinnerungen in universell verständliche Bilder zu übersetzen...




'Erinnerte Vergangenheit und gefühlte Gegenwart'


Das Atelier eines Künstlers ist nicht nur der Ort der Kunstproduktion, sondern auch ein Raum für Kunstpräsentation. Im Gegensatz zu einem Museum oder einer Galerie bedarf es einer Einladung, um in den als „auratischen Ort“ bezeichneten Raum zu gelangen. Es ist ein privater Ort, indem sich fertige wie auch unfertige Bilder neben persönlichen Gegenständen wie Büchern, Fotos oder CDs stapeln - im Fall von Eva Wittig ist dies vor allem Musik von Bob Dylan oder ihrer eigenen Band, den „WinterJ’s“. So wundert es einen nicht, wenn man das Idol Bob Dylan in einer Radierung wieder findet oder dass die Plattencover und Plakate der „WinterJ´s“, bei denen Eva Wittig Gitarre und Gesang übernimmt, von ihr gestaltet werden.



                                                                 

Eva Wittig ist 2009, zwei Jahre nach dem Abschluss als Meisterschülerin bei Prof. Franz Ackermann an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, nach Mannheim gezogen. Das Atelier der 1979 in Heidelberg geborenen Künstlerin befindet sich in einem versteckten Hinterhof mitten in den Quadraten Mannheims. Betritt man den Arbeitsplatz der Künstlerin, findet man sich wieder in einer Welt voller sensitiver Bilder, die bewusst zur Präsentation für den Besucher aufgehängt wurden oder noch unfertig auf dem Boden oder dem langen Tisch liegen. Gerne kann man an diesem Tisch Platz nehmen und sich wie „Alice im Wunderland“ mit köstlichem Tee aus avantgardistisch-filigranen Tassen verköstigen lassen und in die Kunst- und Gedankenwelt von Eva Wittig eintauchen. Diese lange Tafel lädt ein zu einem Abendmahl mit Freunden oder zu einem Gespräch über die Entstehung von Kunst und der Motivation zur kreativen Übertragung von Emotionen und Erlebnissen in Bildform.

Auf die Frage, wie Eva Wittig zu ihren Motive findet und wie sie das Problem der weißen Leinwand löst, führt sie mich in die hintere Ecke ihres Ateliers, wo eine große Leinwand auf dem Kopf steht und auf ihre Vollendung wartet. Darauf zu sehen ist eine abstrakte amöbenhafte Form, die fast die Hälfte der Leinwand vereinnahmt, während auf der rechten Seite ein schwarzer Mann auf der Erde, versteckt hinter einem Baum kauert und sich konzentriert einer noch nicht ersichtlichen Beschäftigung widmet. Abstraktes trifft auf Gegenständliches, hierbei dient die amöbenhafte Figur jedoch lediglich der Bildfindung. „Die abstrakte Form macht die Leinwand kommunikativer und hilft mir mich von der ständigen Gegenständlichkeit zu lösen.“

Max Ernst formulierte seine Angst vor der weißen Leinwand wie folgt: „Ich hatte immer in meinem Leben einen gewissen Jungfräulichkeitskomplex vor weißen Leinwänden. Wenn ich mich vor eine weiße Leinwand hinsetzte, um darauf etwas anzufangen, etwas zu malen, so war es mir einfach nicht möglich, den ersten Klecks da hinauf zu bringen."  Während der surrealistische Künstler eine interessante Oberflächenstruktur mit Hilfe unterschiedlichster Techniken wie der Frottage (frz. frotter - reiben), Grattage (frz. gratter - kratzen) u. ä. entwickelte, sucht sich Eva Wittig Abhilfe, indem sie Formen, die aus früheren Arbeiten übrig geblieben sind, mit dem Overhead-Projektor auf die Leinwand überträgt und sich von diesen zu wiederum neuen Formen inspirieren lässt. Dass die Ausgangsform am Ende auf dem fertigen Gemälde nicht mehr erkennbar sein wird, versteht sich von selbst.

Jedoch ist dieser Bildfindungsprozess nicht die einzige verwendete Methode, ebenso gerne entlehnt die Künstlerin ihre Motive aus Fotos, vorzugsweise von Freunden und der Familie, oder Zeitschriften. Zumeist sind dies Porträts, denn die Künstlerin bekennt, dass „sie Gesichter braucht.“ Nicht nur, weil für sie das Gesicht eines Menschen Geschichten zu erzählen weiß, sondern weil das Gesicht ein Vermittler von Emotionen ist. So zeigen ihre frühen an der Karlsruher Akademie der Künste entstanden Arbeiten vorwiegend eine Auseinandersetzung mit den menschlichen Regungen im Gesicht und in der Körpersprache. Beispielhaft hierfür ist die 2003 auf Papier entstandene „Porträtserie“ von Freunden, die in der Maltechnik und Farbigkeit an die Porträts der prominenten englischen Künstlerin Elizabeth Peyton erinnern. Im Gegensatz zu Peyton, die sich vor allem Stars und Sternchen als Protagonisten ihrer Arbeiten auswählt, haben die in Eva Wittigs Arbeiten dargestellten Personen einen persönlichen Bezug zu der Künstlerin. Dies lässt sich in der sensiblen Darstellung erahnen. Die Privatsphäre der Personen wird gewahrt, denn die Porträts bestechen dadurch, dass die Gesichter ein Spiel mit versteckten Emotionen aufzeigen. Die Porträtierten senken allesamt ihren Blick, drehen den Kopf weg, als würden sie nicht gezeigt werden wollen, die Haare oder die Mütze verdecken die Augen. Sie nehmen allesamt eine dem Betrachter gegenüber abwehrende, in sich selbst versunkene sowie melancholische Haltung ein.

Eva Wittigs Bilder basieren auf persönlichen Geschichten, sie übertragen die eigenen Erinnerungen der Künstlerin aus der Vergangenheit auf die Leinwand und vermischen sich somit mit Gefühlen der Gegenwart. Die Künstlerin reflektiert Erlebnisse aus ihrem Leben und überträgt sie in vieldeutige Motive, die dem Betrachter Assoziationsräume eröffnen, damit er sich die Motive aneignen und in eigene Geschichten übersetzen kann. So auch in dem Fall von „Betonbild Ostgrenze Westgrenze“ (2007), einer in lasierenden zarten  Aquarellfarben auf eine große Leinwand gemalten Erinnerung an eine Szene, die der Titel bereits näher erläutert. In konspirativer Haltung bücken sich zwei Personen über einen Tisch, auf dem eine Karte ausgebreitet ist. Der Titel hilft dem Betrachter, sich in das Bild hineinzusehen: die beiden sind auf der Suche nach dem Verlauf der Mauer in Berlin, wobei die Frau die Ostgrenze und der Mann die Westgrenze sucht. Jeder hat seine eigene Bezeichnung und Vorstellung für den gleichen Sachverhalt. Und so verschwimmen beide Bezeichnungen malerisch ineinander, der Stift, den der Mann in der Hand hält, könnte ebenso ein Licht sein, das in die Karte fließt und den Verlauf der Mauer erleuchtet. „Gleich und gleich entzweit sich gern“ besagt ein Zitat aus der Zeitschrift „Die Fliegenden Blätter“, welches das bekannte Sprichwort „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ abwandelt und wunderbar auf die dargestellte Szene als auch auf die Deutsch-Deutsche Geschichte passt.





Dieses in der Malerei entwickelte Motiv der zwei suchenden Gestalten taucht wiederum in der Radierung „Betonbild Ostgrenze Westgrenze“ (2007) auf. Hier schiebt sich eine dritte Person zwischen die Suchenden und erhellt durch einen strahlenden Stern, der sich an Stelle ihres Herzens befindet, einer Muttergottes gleich, die Mitte des Bildes. Die Körper der Suchenden sind in schattenhafte Formen abstrahiert, die durch Parallelschraffuren ausgeführt sind. Am Ende dieser mysteriösen Schattenkörper befinden sich Sterne, sodass die insgesamt drei leuchtenden Sterne im Bild ein Dreieck bilden, welches die helle Kartenfläche - mit der durch eine zackige Linie deutlich hervorgehobenen Grenze zwischen Ost und West - einrahmt. Im Hintergrund befindenden sich  Schatten-Menschen, die nebeneinander auf einer Bank sitzen und nur noch schemenhaft zu erkennen sind. Sie scheinen in Erwartung eines besonderen Ereignisses im Warten zu verharren und in sich selbst einzukehren, worauf das von ihren Köpfen ausgehende Strahlen, das einem Heiligenkranz gleicht, hindeutet. Der Vordergrund wird von einer dunklen Fläche vereinnahmt, die die Form eines schwarzen Panthers hinter Gittern annimmt. Die Erinnerung an die Anfangszeilen von Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Panther“ ergänzt die Interpretation der vielschichtigen Radierung: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“ So ähnlich könnten die Gefühle der im Osten lebenden Menschen angesichts der Mauer gewesen sein, denken sich vielleicht die Suchenden, die nach einer längst nur noch in der Erinnerung verhafteten Grenze Ausschau halten. Diese vieldeutige Radierung eröffnet durch die religiösen, politischen und literarischen Konnotationen eine Unmenge von Interpretationen, überlässt es jedoch dem Betrachter sich selbst eine individuelle Geschichte mit Hilfe der fragmentarisch miteinander kombinierten Motive zu imaginieren.


In den letzten Jahren hat sich Eva Wittig vorwiegend der Technik der Radierung gewidmet und ihre Entwürfe zunehmend auf Kunststoffplatten gekratzt, was den Vorteil hat, dass die Platten einerseits leicht in verschiedenste Formen ausgeschnitten werden können und im Gegensatz zu Metallplatten nicht geätzt werden müssen, bevor man mit ihnen Drucke ausführen kann. Das interessante an der Technik der Radierung besteht darin, dass ein Motiv immer wieder ergänzt werden kann. Die sonst im Verborgenen bleibenden Radierplatten kann man im Atelier ebenso betrachten, wie die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der jeweiligen Auflagen. Eindrucksvoll nachvollziehbar wird dies im Falle der „Buchradierung“ (2010), die ihren Namen der Form eines aufgeschlagenen Buches verdankt. Zum Motiv wurde Eva Wittig durch eine Werbung von „CK One“ inspiriert, die auf der linken Seite eine fröhliche Clique am Strand und auf der rechten das Porträt einer langhaarigen blonden Frau zeigt, die gedankenverloren in die Ferne blickt.  Diese Werbung, die so sehr Authentizität und Heile Welt vorspielte, dass die Künstlerin sich darüber empörte und sich dazu aufmachte sich selbst in das Motiv zu übersetzten. Sie fotografierte sich im Stil des Models und übertrug ihr Halbprofil, das dem Betrachter einen melancholischen Blick zuwirft, auf die Radierplatte. Die Freunde steigen in ihrer Version wie Flaschengeister aus Parfumflaschen, von denen eine  ironisierend mit „Poison“ beschriftet ist, auf. Von Auflage zu Auflage füllte sich das aufgeschlagene Buch mit grafischen und vegetabilen Mustern, sodass die zuerst nur in Umrissen zu erkennende Gruppe wie auch das Selbstporträt der Künstlerin nun von einem Strudel an Formen und Bruchstücken von Erinnerungen verschlungen werden. Es wird deutlich, dass für Eva Wittig das Malen ein Prozess ist: ein ständiges Suchen, Finden und Ergänzen, das dem Lebens selbst zu gleichen scheint.

                                                                                        von Marietta Laturnus (Kunsthistorikerin)


+++

Am 19. November 2011, von 16 - 22 Uhr, lädt Eva Wittig herzlich dazu ein, in ihre Bild- und Gedankenwelt einzutauchen. Kommt vorbei, um die Künstlerin und ihre Arbeiten in ihrem Atelier in Mannheim R7, 39 kennen zu lernen. Sie freut sich auf Euch!